VOHENSTRAUSS. Er ist knapp 30 Zentimeter groß, hat eine Hülle aus weißem Plastik, ist 1,5 Kilo schwer und trägt einen FC Bayern-Fan-Schal. Das ist Stefan – beziehungsweise sein Avatar. Das Gerät ist ein sogenannter Telepräsenz-Roboter.
Die Bayerische Bildungsstaatssekretärin Anna Stolz sowie der Bildungsausschussvorsitzende und oberpfälzer Abgeordnete Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER) wollen den zwölfjährigen Stefan und seinen Avatar kennenlernen. Die Bildungspolitiker sind an die staatliche Realschule nach Vohenstrauß gekommen, um aus erster Hand zu erfahren, welche Vorteile die Technologie bringt. Und sie wollen lernen, wie sie künftig im Freistaat bei langzeitkranken Schülerinnen und Schülern noch effektiver eingesetzt werden kann.
Avatar schweißt Klasse zusammen
Zunächst aber der Praxistest: Wenn seine LED-Augen blinken und die Leuchten auf dem Kopf angehen, wissen die Klasse 6a und ihre Lehrerin, dass sich der 12-Jährige via Tablet mit seinem Avatar verbunden hat – dass er zuschaut und zuhört. „Als der Junge nicht in die Schule durfte, haben seine Mitschüler dann immer gerufen ‚der Stefan ist da!‘ und haben den Avatar überschwänglich begrüßt“, sagt Schulleiter Kilian Graber.
Stefan sitzt bei der Vorführung für die beiden Landtagsabgeordneten nur in einem Nachbarraum. Aktuell ist er gesund und kann seit Januar wieder in die Schule gehen. Aber während seine Leukämie-Behandlung gab es Phasen, in denen sein Körper geschwächt und extrem anfällig für Keime war. Die Verbindung von seinem Tablet auf seine virtuelle Präsenz im Klassenzimmer „war für ihn extrem wichtig“, sagt Stefans Mutter Petra Reil. Zum einen, weil er so dem Unterrichtsstoff folgen konnte. „Aber fast noch wichtiger war für Stefan das Soziale. Seine Freunde haben ihn zum Beispiel in den Pausen mit auf den Schulhof genommen, haben mit ihm gespielt. Das war ihm so wichtig. Er war in dieser schweren Zeit nicht allein.“
Der Bedarf ist da. Mittlerweile fünf dieser Avatare hat der VKKK (Verein zur Förderung krebskranker und körperbehinderter Kinder Ostbayern e.V.) im Einsatz, sagt Vorsitzende Irmgard Scherübl. „Und wir bräuchten alleine für unsere krebskranken Kinder nochmal so viele.“ Rund 3800 Euro kosten die Telepräsenz-Roboter, die die Firma „No Isolation“ aus Norwegen seit 2016 vertreibt.
Der Verein übernahm die Anschaffungskosten, kommt auch für den Unterhalt – zum Beispiel Mobilfunkvertrag und Versicherung – auf. Dem VKKK sei es immer wichtig, die Familien dort zu unterstützen, wo sie Hilfe brauchen, sagt Scherübl. Die Vorteile des Avatar lägen auf der Hand. Die erkrankten Kinder erleben weiterhin ein Stück Normalität. Sie verlören auch nicht völlig den Anschluss in der Schule.
Wer krank ist muss sich auch erholen dürfen
„Stefan ist ein richtig starkes Kind“, sagte Kultus-Staatssekretärin Anna Stolz nach ihrem Besuch an der Realschule in Vohenstrauß. „Es freut mich, dass wir heute mit Avataren Kindern helfen können, Teil der Klassengemeinschaft zu bleiben, wenn ihr Gesundheitszustand einen Schulbesuch eigentlich unmöglich macht.“ Aber trotz allem gelte es die Technik behutsam einzusetzen. „Wer krank ist hat ein Recht auf Erholung – der Avatar macht bei so etwas wie einer Grippe keinen Sinn. Hier geht es um langwierige Fälle.“
Aber umso mehr mache das dann bei Fällen, wie Stefan Sinn. „Wir konnten heute sehen – und das haben die Lehrer und die Eltern bestätigt – dass Stefan im Rahmen seiner Möglichkeiten dem Stoff folgen konnte. Aber fast noch wichtiger war, dass er Teil der Gemeinschaft der Klasse bleiben konnte. Und auch die Klassengemeinschaft ist dadurch noch enger geworden.“
„Der Avatar wurde hier ein wichtiger und anerkannter Schulkamerad im Klassenzimmer“, sagte MdL Tobias Gotthardt. Der amtierende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Kultus des Bayerischen Landtags beschäftigt sich ebenfalls seit langem mit der Thematik. Und als er über den VKKK die Möglichkeit bekam, das Gerät in Aktion zu erleben, lud er seine Fraktionskollegin Anna Stolz mit ein.
„Aktuell sind rund 50 Avatare in bayerischen Klassenzimmern unterwegs – und wir werden diesen Weg sicher weiter gehen.“ Grundsätzlich sei die Anschaffung der Avatare eine Sache der Sachaufwandsträger. „Wir sehen aber den Erfolg – und ich will, dass alle Zugriff auf diesen Erfolg haben. Da darf es keine Hürden sozialer oder finanzieller Art geben bei den Familien.“ Es könne auch nicht sein, dass zum Beispiel Vereine mit der Anschaffung und dem Unterhalt alleine gelassen würden. „In anderen Krankheitsfeldern gebe es mitunter keine Vereine, wie den VKKK. Deshalb ist es der richtige Weg für mich und für uns FREIE WÄHLER, dass auch der Freistaat jenseits seiner originären Zuständigkeit in angemessener Form mit in die Finanzierung dieser Avatare einsteigt.“
März 2023