Schweinehalter prognostizieren Höfesterben bis Februar
FREIE WÄHLER setzen sich ein
Regensburg/Riekofen/Geigant. Es muss schnell gehen. „Für die Schweinehalter ist es schon fünf nach zwölf“, sagt Dr. Leopold Herz, der agrarpolitischer Sprecher der FREIE WÄHLER Landtagsfraktion und Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses. Er war auf Einladung seines Fraktionskollegen und Europaausschussvorsitzenden Tobias Gotthardt im November zu Gast in der Oberpfalz. Und die Lage ist ernst.
Den Landwirten in der Schweinehaltung steht das Wasser nicht nur bis zum Hals – teilweise sind sie schon abgetaucht. Denn: Nicht nur, dass sie nichts mehr für ihre Tiere bekommen. „Die Situation auf den Höfen ist bereits so desolat, dass Landwirte derzeit bei jedem Verkauf Verlust machen“, sagt Dr. Herz. Die bäuerliche Schweineproduktion, die der Verbraucher schätzt und will, steht in Bayern vor dem Aus.
Auf Einladung des Landtagsabgeordneten Tobias Gotthardt war er in die Oberpfalz gekommen und besuchte zwei Betriebe in Riekofen im Landkreis Regensburg und in Waldmünchen im Landkreis Cham. Die Orte trennt knapp eine Stunde Fahrtzeit. „Aber die Sorgen sind überall gleich“, sagte Clemens Meßner. Auf seinem Hof in Riekofen sprach Herz unter anderen mit Landwirten, Johann Mayer, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), BBV-Geschäftsführer Josef Wittmann, und der stellvertretenden Kreisbäuerin Rosmarie Meßner.
Sie alle erhofften sich Hilfe von der Politik und aus der Gesellschaft. Denn: Deutsche Schweinebauern stehen seit einiger Zeit unter massivem Druck, viele Betriebe sogar kurz vor dem Aus. „Das ist kein Jammern – das ist lediglich ein Zustandsbericht“, sagten die Landwirte unisono.
VIELE FAKTOREN KOMMEN ZUSAMMEN
Den Finger auf eine Ursache für den Preisverfall zu legen sei nicht möglich. Zum einen sei der Export von Schweinefleisch in viele Drittländer infolge der Afrikanischen Schweinepest (ASP) nicht mehr möglich gewesen. Zudem habe die Schließung von gastronomischen und kulturellen Angeboten während der Corona-Pandemie zu einem sinkenden Absatz geführt. „Die steigende Nachfrage nach vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukten tut ihr Übriges“, sagte Herz. Ein weiteres Problem seien tonnenweise kostengünstig produziertes Schweinefleisch, aus anderen Ländern, wie Spanien, die dann in Deutschland verpackt würden, die entsprechende Beschriftung „Made in Germany“ erhielten und den Markt zusätzlich unter Druck setzten. „Die Leute kaufen sich für 1200 € einen glänzenden Edelstahl-Gasgrill, mit dem sie in ihrem Garten protzen. Aber dann kaufen sie die billigen Schweinenacken-Steaks für ein paar Cent aus dem Kühlregal im Discounter. Das passt doch nicht mehr zusammen.“
„Hinzu kommen immer neue Regularien seitens der EU und auch der Bundesregierung, die gerne auch noch mal draufsattelt und die Vorgaben aus Brüssel zusätzlich verschärft“, sagte Tobias Gotthardt.
Ferkelerzeuger Christian Lommer rechnete den Gästen seine Bilanz vor: Er brauche etwa 60 Euro bis ein 28-Kilogramm-Ferkel verkaufsfertig ist. „Da ist dann betriebswirtschaftlich alles eingerechnet – und wir können als Produzent davon leben.“ Die Realität sähe anders aus: Aktuell bekommt er nur noch 19,50 Euro pro Tier.
Ähnlich, wenn nicht schlimmer sieht es bei Reinhold Pregler aus. Er lege beim Verkauf seiner Mastschweine pro Tier 70 Euro drauf: „Das ist pervers und ein Irrsinn! Eigentlich will keiner, dass wir aufhören. Denn alle anderen in der Kette verdienen noch gutes Geld mit unserem Schweinefleisch. Vor allem der Lebensmitteleinzelhandel macht sich die Taschen voll.“ Während sich die Erlöse im vergangenen Jahr bei den Produzenten nahezu halbiert haben, stiegen die Preise im gleichen Zeitraum im Einzelhandel für den Endkunden sogar leicht an. „Aber von dem Geld kommt an der Basis, bei uns Produzenten nichts an“, sagten die Landwirte.
Neben ihnen und den BBV-Vertretern kamen auch Waldmünchens Bürgermeister Markus Ackermann, FW-Ortsvorsitzender Siegi Wagner, FW-Kreisrat Julian Preindl, FW-Geschäftsführer Josef Kiesl, FW-Kreisvorsitzender Kans Kraus und Manfred Rohland zu den Treffen.
IMMER MEHR LANDWIRTE GEBEN AUF
Jeder der beim Gespräch mit den FW-Abgeordneten Dr. Herz und Gotthardt anwesenden Landwirte wusste von einem oder mehreren Kollegen, die bereits das Handtuch geschmissen und ihre Ställe geräumt haben. „Und auch bei uns geht vielen die Luft aus. Wenn sich bis zum Februar nichts tut sehe auch ich keine Perspektive mehr“, sagte Lommer.
Die FREIEN WÄHLER wollen helfen. Bereits Mitte Oktober hatten sie einen Dringlichkeitsantrag mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket in den Landtag eingebracht. Darin setzten sie unter anderem auf private Lagerhaltung, bauliche Erleichterungen, Anhebung der Investitionsförderung oder den Start des bayerischen Tierwohl-Programms. Der Landtag hat den Antrag am 14. Oktober mit den Stimmen der FREIEN WÄHLER, der CSU, der SPD und der FDP gegen die Stimmen der AfD angenommen. Die Abgeordneten der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten sich enthalten.
Für den Landtagsabgeordneten Tobias Gotthard ist klar: Hier geht es um Existenzen. Zum Teil um ganze Dynastien von Landwirten, die seit mehr als 100 Jahren am Ort sind und hier ihre Güter produzieren. „Der Markt ist unglaublich angespannt, die Preise sind am Boden und eine gewinnbringende Produktion ist in Bayern so nicht mehr möglich. Das muss uns alarmieren – und das tut es!“ Das sei auch der Grund für seine Einladung an Dr. Leopold Herz gewesen, damit er sich in Betrieben in der grenznahen Oberpfalz ein Bild der Lage machen kann. „Es geht auch darum Resilienz zu gewährleisten – das heißt, dass wir in Deutschland in der Lage sein müssen, uns selber mit Lebensmitteln zu versorgen. Und als Europaausschuss-Vorsitzender sage ich: Wer bayerisch isst und einkauft, der schützt das Klima. Daran müssen sich die Verbraucher noch viel mehr erinnern, wenn sie einkaufen.“
STRUKTURELLE KRISE BEDROHT LANDWIRTSCHAFT
Für FW-Agrarexperte Leopold Herz ist klar: Jetzt gelte es, dass möglichst viele der 4000 bayerischen Schweinehalter nicht aufgeben. „Ich verfolge die Agrarpolitik seit 50 Jahren. Und die Situation war noch nie so schlecht. Wir müssen jetzt handeln – sonst steht uns eine neue Welle des Höfesterbens ins Haus“, warnt er. „Die Marktlage ist für viele Betriebe existenzbedrohend. Ohne staatliche Unterstützung werden viele Schweinehalter diese strukturelle Krise nicht bewältigen können. Dass die Höfe aufhören, können wir nicht wollen“, sagte Herz.
Der Dringlichkeitsantrag war ein erster Schritt, sagte der Agrarexperte. „Tobias Gotthardt und ich werden die Thematik in der Fraktion weiter diskutieren und im engen Austausch mit den Betroffenen bleiben. Alles, was die EU an zusätzlichen Hilfen erlaube, müsse eingesetzt werden. Wir müssen versuchen über die neue Bundesregierung klar zu machen, dass wenn die Landwirte aufhören – dann sind die weg. Und dann wird Schweinefleisch in anderen Ländern Europas produziert. Und das können wir sicher nicht wollen.“
November 2021